· 

Deine Kitagewöhnung ist meine Eingewöhnung

Dieses Jahr ging so unglaublich schnell vorüber. Ich weiß noch, wie ich in der Schwangerschaft mit klopfendem Herzen bei der Tagesmutter anrief. Die einzige Tagesmutter, die es weit und breit hier in der Gegend  gibt und deren Telefonnummer ich auch  nur von einer Freundin zugesteckt bekommen habe. Zuerst war es eine Absage, natürlich, aber ich blieb dran und fragte immer wieder nach. Dann klingelte eines Tages mein Telefon und wie es der Zufall so wollte konnte ein Kind seinen Platz nicht antreten und ob wir diesen Platz haben wollen. Natürlich wollten wir (und an Zufälle glaube ich eigentlich schon lange nicht mehr). Ich war so erleichtet und feierte diese Nachricht wie eine Sechser im Lotto. Denn meine jahrelange Erfahrung im Kitajob hatte mich gelehrt, dass es einfach nur wertvoll ist, wenn man ersten überhaupt einen Betreuungsplatz für sein Kind bekommt und zweites noch einen dazu, der nicht nur als Kinderaufbewahrungsplatz dient. Was für ein unsagbares Glück. So konnte ich die Schwangerschaft richtig genießen, ohne im Hinterkopf diese Spukgespenst „Und was ist eigentlich nach der Elternzeit?“ genießen.

 

Damals war der Tag X noch in so weiter Ferne. Mein Bäuchlein hatte gerade erst angefangen sich zu runden und bis mein kleines Babychen ein Jahr alt sein würde, floss noch einiges an Wasser die Alster herunter. Doch dann waren die 40 Wochen um, mein Baby kam zur Welt, dann im Spätwochenbett veröffentlichte ich mein zweites Buch, was sich ebenfalls so anfühlte, als würde ich ein Baby gebären, dann kam Corona und der Lockdown und auf einmal hatte ich nicht nur einen Säugling zu Hause, sondern auch ein Kind im Vorschuljahr und ein Schulkind, das ich im sehr intensiven Homeschooling betreuen durfte. Danach stand das Großprojekt des eigenen Onlinegeburtsvorbereitungskurses an, wann, wenn nicht jetzt. Ganz nebenbei lernte mein Baby essen und trinken aus dem Becher, machte seine ersten Schritte, half mir plötzlich beim Spülmaschine ausräumen, lachte mir schelmisch ins Gesicht, spielte mit den großen Brüdern fangen und marschiert fröhlich die Treppen hinauf und hinab. Als hätte es niemals etwas anders getan. Auf einmal wurden die Blätter an den Bäume bunt und der Herbst kündigte sich an und der 1. Geburtstag wurde gefeiert. Plötzlich war dieses Babyjahr schon vorbei und der Tag X stand vor der Tür. Ich fragte mich, wie jetzt? Wie konnte die Zeit nur so schnell vergehen und wie bist du so schnell groß geworden? Eben hast du noch an meiner Brust geschlafen, ich habe deinen einzigartigen Babygeruch geschnuppert und die Welt schien im Wochenbett still zu stehen. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass das erste Jahr vorüber war, bevor es eigentlich begonnen hatte. Einfach nur verrückt.

 

Ich weiß, dass ich ein Thema mit dem Loslassen habe. Stets bin ich bemüht meinen Kindern Wurzeln zu geben. Und ich glaube, das gelingt mir die meiste Zeit recht gut. Zumindest hoffe ich das. Wurzeln um dann Flügel zu bekommen und loszufliegen. Ich weiß und wünsche mir, dass auch du deine eigenen Erfahrungen machen kannst. Dass du deine Welt erkundest mit Neugierde Stöcke und Steine sammelst, die Herbstblätter verzaubert in die Hände nimmst und am Himmel die Wolken vorbeifliegen siehst. Ich möchte, dass du von Gullideckeln weiterhin so fasziniert bleibst, wie du es jetzt gerade bist, um ganz versunken Minute um Minute darin kleine Steinchen zu versenken. Ich gebe dir meine Hand, wenn du Schritte tust und dabei meine Unterstützung brauchst und lasse dich los, wenn du deine Sicherheit gefunden hast und die Schritte selbst gehen kannst. Doch es ist so unglaublich schwer. Vielleicht ist es eine Lebensaufgabe jeder Mutter genau hier eine Balance zu finden. Und vielleicht liegt genau das richtige Maß dessen auch in jeder Familie ganz individuell.

 

Als ich noch im Kindergarten gearbeitet habe und selbst Eingewöhnungen betreute, war es mir immer klar, dass es eher die Eingewöhnung der Eltern und nicht der Kinder ist. Und genauso fühlt es sich bei mir gerade auch an. Ich brauche die Sicherheit. Ich brauche die Entschlossenheit, dass meine Entscheidung richtig ist. Denn nur dann kannst du losziehen und deine Flügel ausbreiten mit den warmen Luftmassen hoch und höher steigen und schließlich mit dem schönsten aller Ausblicke auf unsere Welt blicken und mit Rückenwind auch die entlegensten Gegenden und die dort wartenden Abenteuer erkunden.

 

So spüre ich einmal  mehr zu meinen Herzen hin. Ich spüre mein Herz genauso, wie ich es schon in der Schwangerschaft praktiziert habe. Es schlägt gleichmäßig und stark. Und mein Herz ist mit deinem verbunden. Über einen Herzfaden, der golden schimmert. Gerade ist er ganz straff und fest gezogen und er spannt. Er bindet uns aneinander und engt uns ein. Das spüre ich. Ich stelle mir diesen Herzfaden vor, wie er sich von meinem zu deinem Herzen spannt und lasse ihn weich werden. Weich und elastisch und doch ist er da. Immer. Und ich spüre die Liebe, die Verbundenheit und dass alles da ist, was wir brauchen, um uns nah zu sein. Egal, wo du bist, wir sind immer vereint in unserem Herzfaden. Und ich sehe dich vor meinem inneren Auge, wie du mit deiner ganz eigenen Einzigartigkeit im Garten der Tagesmutter ausgelassen spielst. Du hast Freude, du fühlst dich geborgen und auch wenn ich nicht da bin, geht es dir gut. Verdammt gut und du bist glücklich. Dieses Bild trage ich in meinem Herzen und mit jedem Tag wird die Gewissheit größer, dass ich es wagen kann, dich einige Schritte gehen zu lassen. Denn auch ich merke, dass ich wieder Zeit für mich brauche.

 

Ich liebe es Mutter zu sein, doch ich liebe auch die Frau, die ich bin, losgelöst von meinen Kindern. Diese Frau darf ich nähren und wachsen sehen und dafür braucht sie einen gewissen Freiraum. Früher dachte ich, dass ich auch ohne diesen Teil von mir glücklich sein kann, doch ich habe mich auch mit der Zeit mehr und mehr mit dieser Frau verbunden und weiß, dass sie ihre Freiheit braucht, um glücklich zu sein. Genau das möchte ich nicht ignorieren. Denn ich habe auch immer wieder in den Jahre meiner Mutterschaft gemerkt, dass wenn ich meine Bedürfnisse nicht wahrnehme ich irgendwann unausgeglichen werde. Das spüre dann nicht nur ich selbst, in dem ich hart mit mir ins Gericht gehe, sondern auch meine Kinder und auch mein Mann. Deshalb habe ich im Laufe der Jahre gelernt meine innere Stimme zu hören, die mir auch jetzt wieder sagt, dass ich nicht nur für meine Kinder, sondern auch für mich selbst sorgen darf. Und da gehört dazu, dass ich meine Herzensprojekte verfolge und auch verwirkliche. Denn sie sind genauso ein Teil von mir, wie meine Familie. Auch deshalb möchte ich meinen Kleinen für ein paar Stunden am Tag abgeben.

 

Aber wie gelingt das ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Wie kann ein Kompromiss gelingen? Hin und hergerissen zwischen, ich möchte mein Baby die ganze Zeit am liebsten um mich haben, der Wunsch es loslassen zu können und die Selbstverwirklichung. Das schlechte Gewissen begleitet eine Mutterschaft vielleicht genauso konsequent wie das Thema des Loslassens. Aber man kann sich genau das auch ansehen. Woher kommt eigentlich das schlechte Gewissen. Ist es etwas, das gesellschaftliche Konformität von einem verlangt? Hat man es, weil einem selbst als Kind genau in diesem Zusammenhang etwas gefehlt hat? Es lohnt sich einmal genau hinzusehen und dem auf den Grund zu gehen. Ich für mich habe festgestellt, dass es erst einmal eine Befreiung sein kann, das schlechte Mama-Gewissen überhaupt wahrzunehmen und es einzuladen. Nicht dagegen ankämpfen zu wollen, sondern es willkommen zu heißen als ein Gefühl, das eine Botschaft mit sich trägt und gesehen werden möchte. Vielleicht versteht man die Botschaft nicht von Anfang an. Auch das habe ich für mich erkannt, dass genau das okay ist. Ich darf es einfach auch nur wahrnehmen und dann so stehen lassen, ohne es lösen zu wollen. Ich darf es immer und immer wieder nur betrachten. Ohne Gram, ohne Druck, ohne Wollen. Einfach wahrnehmen. Und genau dann zeigt sich für mich manchmal genau das, was es mir sagen möchte. Ich darf den Wunsch haben, mein Baby noch bei mir haben zu wollen. Auch nach einem Jahr ist das völlig okay. Und wenn ich mich dazu entschließen würde, dass ich nur Mama sein und zu Hause sein möchte, dann wäre auch das völlig okay. Auch wenn mir die Gesellschaft suggeriert, dass eine Mutter den Haushalt schmeißt, sich um die Kinder kümmert, Partnerin ist und auch noch arbeiten geht und das alles gleichzeitig. Ich darf mich von diesen Vorstellungen frei machen und für mich meinen ganz eigenen Weg gehen.

 

Genau das haben mein Mann und ich auch an dieser Stelle diskutiert, als ich in mir diese tiefe Traurigkeit verspürt habe, dass ich mein Baby in die Betreuung gebe. Dieser Trennungsschmerz, den ich bei den beiden Großen immer weggedrückt und ignoriert habe. In dem Gespräch habe ich aber so schnell gemerkt, dass ich Zeit für mich brauche. Um meine Akkus aufzuladen, um endlich Zeit für Dinge zu haben, die schon lange liegengeblieben sind, um mich um mich selbst zu kümmern und schließlich wieder Kraft und Energie für andere Projekte zu haben, die in meinem Kopf herumwabern. Oder einfach um einmal die Zeit zu haben, um zu spüren, wie es ist, wenn man nichts erledigen muss. Müßiggang und zwar bewusst. Danach sehnte sich mein Herz und genau deshalb habe ich mich dieses Mal bewusst dafür entschieden, den Betreuungsplatz anzunehmen und die Eingewöhnung zu beginnen. Außerdem musste es ja nicht heißen, dass der Kleine 5 Tage die Woche für 8 Stunden bei der Tagesmutter ist. Ich stellte mir einen sanften Einstieg vor, wo er bis zum Mittagessen bleibt und ich ihn danach abhole. Und das auch nur an 3 Tagen die Woche. So hatte ich eine optimale Lösung für uns alle gefunden. Der Kleine konnte in die Betreuung, seine ersten Schritte ohne mich machen, ich hatte Zeit für mich, aber dann auch noch 2 exklusive Vormittage mit ihm, in denen ich dann wirklich nur für ihn Zeit habe. Ausgeruht und mit Lust meinen Tag mit ihm zu verbringen. Besser konnte es eigentlich nicht sein.

 

Ich denke auch dieser ganz bewusste Entscheidungsprozess mir sehr geholfen hat mein schlechtes Mama-Gewissen zu heilen und auch voll und ganz hinter meiner Entscheidung zu stehen. Genau das merkt auch mein Kleiner und ist in dieser Klarheit gut aufgehoben. Die Eingewöhnung ist also auch immer Eingewöhnung der Eltern und ich für mich kann sagen, dass ich mich sehr gut damit fühle. Es war ein Weg bis hierher, aber es hat sich gelohnt!